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Nat Redieschgew                                            April 2013

 

Ein Schale Tee

 

Emma sieht aus dem Fenster. Über dem Bodden liegt ein Schleier. Morgendunst - sagen die Leute. Laß sie sagen, denkt Emma, Hauptsache kommt kein Ostwind, der macht alles so kalt. Aber die kleinen Schaumkronen ziehen nach Ost, also Westwind mit einer Prise Süd. Da wird Anton sich freuen, kommt er doch gut in den Hafen gesegelt mit seinem Kahn, dem bauchigen. Und im Fischkasten werden wohl paar Zander schwimmen oder Schleie, vielleicht auch ein Barsch.

Würd ja gern noch einkaufen gehen, doch dann kommt er sicher genau in dem Augenblick nach Haus und denkt wieder: die Alte ist schon wieder unterwegs, immer genau wenn ich komme und durstig bin.

Also lieber jetzt Tee machen und warten; hält sich ja auch heiß in der Röhre oder auf dem Stövchen, der Oolong, dieser Tee aus Taiwan oder Formosa wie Anton sagt.

„Ist halbfermentiert, bisschen grün und bisschen schwarz.“  Fancy Oolong, was für komische Namen es gibt, aber schmecken tut er.

Ja, von Tee versteht Anton was, aber erst seit er mit diesen Orgelbauern zusammen kluckt. Die haben ihm diesen ganzen Kram wohl beigebracht. „Und Emma, nur 80°C das Wasser“ sagt Anton, „sonst verbrühst Du die Seele vom Tee.“ Halbfermentiert und Seele, da finde sich einer zurecht. „Man stoppt mittendrin die Oxydation“ sagt Anton,

 „dass ist der Trick des Oolong, deshalb eben halb grün halb schwarz und kannst auch zweimal oder sogar dreimal aufgießen.“ Aber sieht doch immer noch schön braun aus, sage ich, also nicht grün und schwarz. „Papperlapapp“ sagt Anton und streichelt dabei Emmas Stirnfalten liebevoll. Seine rauen Hände fühlen sich gut an, vertraut, noch immer nach den vielen Jahren.

„Aber man braucht auch gutes Wasser, möglichst weich, haben die Orgelbauer gesagt, merkt man beim Rasieren,“ sagt Anton, „wenn der Schaum schlecht abgeht, dann schmeckt der Tee; natürlich nicht das Rasierwasser Emma, aber das Wasser.“

Antons Großvater hatte auch so einen Spleen, trank immer diese altrussische Teemischung – „rauchig, über lodernden Flammen fermentiert,“ trompetet Anton mit Stentorstimme, „einfach ein verdünnter Sud und steht den ganzen Tag lang am Samowar und wehe die Warenje war alle, dieser Moosbeerensirup.“ Hat er alles von seinem russischen Großvater – aber das war noch, als wir in Pillau wohnten – ist lange her.

Nun hat Anton sogar eine Wasserquelle gefunden, zusammen mit den Orgelbauern, die auch immer dort ihr Teewasser holen. Kommt aus einem kleinen Berg, na ja eher Hügel – Berge gibt’s ja hier nicht, hier auf dem flachen Land wo man am Montag schon sehen kann, wer freitags zu Besuch kommt. Dieses weiche Hügelwasser hab ich ja noch vorrätig in der Emaille-Kanne, denkt Emma. Also nun Oolong und 4 min ziehen lassen. „Teekanne nur ausspülen und nie scheuern“, sagt Anton.

„Die Ablagerungen sind das Wertvollste, haben auch die Orgelbauer gesagt.“ Sieht zwar dreckig aus, aber na ja – eben wertvoller Dreck und wächst jedes Mal, dieser Tee-Dreck. "So kann man auch reich werden Emma" – Anton lächelt verschmitzt.

Und nachher will er wieder helfen gehen, denn heute sollen die Subbaßpfeifen in der Orgel angehängt werden, da brauchen sie noch einen Helfer, haben die Orgelbauer gesagt.

Hab ich mir angesehen diese "Blumenkästen aus Holz" auf den Kirchenbänken liegend und das sollen die Orgelpfeifen sein? Kaum zu glauben aber sollen schöne Töne machen. „Das sind die Baßpfeifen“ sagt Anton, „tief und warm im Klang.“ Von mir aus – Hauptsache die Orgel klingt gut. „Sind aus Kiefernholz,“ sagt Anton, „einfach 4 Bretter zusammengeleimt, wie eine lange Marderfalle würde Paul Tack sagen, aber unten einen Fuß dran und oben verschlossen, klingen dann tiefer. Und hinten einen Haken oder Döckchen“, wie Anton nun das Orgelbauerlatein nachspricht. Dabei ist’s doch nur ein angeleimtes Stück Holz mit einem kleinen Loch drin, man stülpt das über einen Nagel, dem man den Kopf vorher abgeknipst hat, und so werden diese Holzpfeifen gehalten. „Aber kunstvoll“ sagt Anton „und alle schön in Reih und Glied wie beim Militär.“

 

Nun aber schnell den Tee abgießen in die Kanne von HB, die Anton so liebt. Ist ja nun auch schon im Himmel die Frau Bollhagen, diese Fayence–Königin aus Marwitz, wie Anton gern betont. Und bei Beerdigungen spielt immer die Orgel, so man eine hat. Und meistens mit Holzpfeifen –

 „Aber auch mit Metallpfeifen“ sagt Anton, „klingen auch schön, werden aus Zinn gemacht und Blei.“ Was denn nun: Zinn oder Blei – „na ja beides zusammen, eben in der richtigen Mischung.“ Und was ist die richtige Mischung. „Na ja Emma, wie bei deine Buletten Schweinefleisch und Rindfleisch. So halb und halb geht ganz gut, aber mehr Rind ist besser oder?“ Und Zinn ist wohl Rindfleisch Anton, das ich nicht lache. Und wie kriegen die Orgelbauer das da rein das Blei in das Zinn, kann man doch schlecht braten oder kochen, das Metall. „Aber s c h m e l z e n Emma, auch in einem Topf oder Tiegel, eigentlich wie kochen nur eben heißer, deshalb sagt man schmelzen.“ Wie Butter in der Sonne was? – „Ne, schon etwas anders. Und dieses Zinn-Blei-Gemisch wird dann flüssig ausgegossen auf einem Tisch zu einer Platte,“ sagt Anton „wird dann abgehobelt und poliert. Daraus wird ein Rohr gebogen und wird zusammengelötet dieses Rohr.“ Anton weiß nun alles von den Pfeifen, dass zwischen dem Pfeifenfuß und dem Pfeifenkörper noch ein Kern kommt. „Weißt Du Emma, so ein Kern ist einfach eine Zinn-oder Bleischeibe, die man da auf diesen Fußkegel auflötet. Bis auf einen Schlitz lötet man alles rundum zu und dieser Schlitz heißt Kernspalte und daraus kommt dann die Luft.“ Stundenlang kann Anton nun alles erklären, warum die eine Pfeife so klingt und die andere eben anders. „Weißt Du, das ist wie bei einem guten Chor,“ sagt Anton. „Man braucht eben so eine Art Maria Callas aber auch so eine Krächzstimme wie unsere Erna Fenchel. Erst beide Stimmen machen den Reiz einer guten Orgel aus.“ Anton erklärt immer so, dass man glaubt, man hätte alles verstanden.

Aber wenn er wieder weg ist und man will jemand anders das erklären, dann merkt man, dass man garnischt kapiert hat.

Aber nun könnte er endlich kommen, Tee ist fertig, der Oolong aus Formosa, mit weichem Hügelwasser in der HB Kanne. Und abends brat ich Zander. Anton hat die Orgelbauer eingeladen. Da wird geredet über Tee und das richtige Wasser, auch über Wein und Whisky und über Fisch und die Gewürze beim Kochen und natürlich über Orgelbau. Wenn man den Orgelbauern so zuhört, dann denkt man, sie bauen nicht eine Orgel, sie kochen eine Orgel; reden über das Zinn wie Zutaten, über den Zinnschrei im reinen Material, über die richtigen Metallmischungen. Aber auch über Klänge, über Musik, das richtige Tempo der Orgelstücke, die passenden Register und auch über die ganzen Komponisten und ihre Werke – mir wird schon schwindelig, wenn ich nur dran denke. Aber es ist auch immer lustig und interessant. Und Anton tut so, als versteht er alles, dabei ist er doch wie ich ganz einfach gestrickt und nah am Wasser gebaut, weint oft wenn die Orgel spielt:

 

 - Erbarm dich mein, o Herre Gott -

 

vielleicht mit dem Register Unda Maris, dieser schwebenden Meereswelle der Orgel. „Steht wohl in h-moll,“ sagt Anton „und die Melodie beginnt im zweiten Takt mit einem Fis. Und der ganze Choral schaukelt so schön, wie mein Boot auf den Wellen“  Kann keiner so schön wie der olle Bach,“ sagt Anton und da hat er wohl Recht.

 

Ich könnt wohl jetzt singen: Erbarm Dich mein, o Anton, Tee wird kalt. Wenn Du nicht bald kommst, wird er nicht mehr so schön frisch sein dieser Oolong oder wie die Orgelbauer das aussprechen: Uhlong. Anfangen hilft, sagt Mutter Dubbing immer, und die hat Erfahrung.

Also einfach eingießen und der Tee wärmt die Schale und die Schale meine Hände und schlürfen ist erlaubt, ja sogar gut, sagt Anton. Der Tee schmeckt geschlürft noch besser.

Da kommt er ja endlich, vom Bodden den Weg hoch und hat Fische im Netz, Abendbrot gerettet und was singt er da, tönt durchs offene Fenster:

 

Erbarm dich mein, o Herre Gott,

nach deiner großen Barmherzigkeit,

wasch ab, mach rein mein Misetat.

 

Auf der Orgel folgt

die Choralbearbeitung „Erbarm dich mein“

 

von J.S. Bach BWV 721